Töpfe und Deckel

 

Wie heißt es doch so schön:

 

Es gibt zu jedem Topf auch einen Deckel!

 

Dieser Aussage stimme ich zu – allerdings gibt es zu jedem Topf nur einen einzigen Deckel der wirklich passt. Und diesen zu finden ist nicht einmal – wie ja allgemein angenommen wird – ein absoluter Glücksfall, sondern es bedarf dafür zuvor einer langen Reise, an deren Ende viele Erfahrungen, Erkenntnisse und das Wissen um die eigene Beschaffenheit und die des passenden Gegenstücks stehen.

 

Die Welt ist voller Töpfe und voller Deckel. Unzählige große, kleine, hohe und flache, bunte und einfarbige, verbeulte, glatte, glänzende, matte, eiserne, gläserne, hölzerne Töpfe und Deckel bevölkern die Welt. Wie aber soll man nun aus dieser riesigen Auswahl den Richtigen herausfinden? Am Anfang der Suche steht man – sagen wir als Topf – vor einem Haufen Deckel. Man betrachtet sie und findet, dass der eine oder andere ganz nett und passend ausschaut. Man nimmt sich den Glänzendsten und merkt bald, dass er irgendwie doch nicht passt. So probiert man den nächsten aus, vielleicht diesmal den Größten – doch auch dieser hat nicht die richtigen Eigenschaften und so wird er zwangsläufig wieder weggelegt. Im Laufe der Zeit erweitert sich das Blickfeld und man sieht immer mehr Deckel die Welt bevölkern und der Versuch, genau den Passenden zu finden erscheint immer unmöglicher. Was, wenn der passende Deckel sich am anderen Ende der Welt befindet, was, wenn er gleich um die Ecke liegt, jedoch auf einen anderen Topf gepresst, in der dunkelsten Ecke eines alten Küchenschranks?

 

Bei der Suche nach dem passenden Deckel passieren die eigenartigsten, dramatischsten, traurigsten und lustigsten Dinge. Einige Töpfe geben die Suche niemals auf und bei jedem neuen Deckel sind sie wieder überzeugt, jetzt endlich den richtigen gefunden zu haben. Andere behalten ein Leben lang den Deckel den sie einmal gewählt haben, egal wie schwer er ist, wie sehr er auch drückt und kratzt. Einige Töpfe suchen sich immer und immer wieder die gleiche Art Deckel aus, weil er ihnen einfach so gut gefällt, weil er glänzt und funkelt und sie können und wollen nicht verstehen, dass diese Art von Deckel niemals passen wird. Andere Töpfe resignieren einfach und leben ihr Leben nach einigen Fehlversuchen lieber ohne Deckel, auch wenn die Wärme schneller entweicht und manch kühler Luftzug in das Innere des Topfes dringt. Wieder andere haben schon eine ziemlich genaue Vorstellung des passenden Deckels, so dass sie gar nicht erst einen unpassenden Deckel aufsetzen wollen. Durch diese differenziertere Sichtweise verringert sich natürlich die Auswahl dramatisch und diese Töpfe bleiben zwangsläufig sehr oft oder sehr lange ohne Deckel.

 

So vielfältig die Vorgehensweisen bei der Suche nach dem passenden Deckel sind, so vielfältig sind auch die Fälle die eintreten können, wenn man einen Deckel gefunden und aufgesetzt hat.

 

Einer Studie zufolge können folgende Fälle eintreten (wobei es noch zahlreiche Varianten gibt, aber die hier aufgeführten sollten zum allgemeinen Verständnis reichen). Es sei dabei zu beachten, dass die Anzahl der zur Auswahl stehenden Töpfe und Deckel im Fall 1 sehr hoch ist und mit jedem weiteren Fall stetig abnimmt.

 

Fall 1: Der unmögliche Fall:

Ein kleiner Deckel trifft auf einen großen Topf. Tja, was passiert: Der Deckel fällt in den Topf, es gibt einen lauten Knall und es ist sonnenklar, dass es für dieses Topfpaar nicht die geringste Chance gibt.

 

Fall 2. Der pseudozufriedene Fall:

Ein großer Deckel trifft auf einen kleinen Topf. Beide merken zwar, dass etwas nicht so ganz stimmt aber egal – Hauptsache endlich einen Deckel und irgendwie scheint es ja doch stabil zu sein und so geben sie sich zufrieden. Bis ein Windstoß kommt oder jemand am Küchentisch rüttelt. Ohje, jetzt wird es wackelig, der Deckel rutscht hin und her und gerät ins Wanken, im schlimmsten Fall knallt der Deckel auf den Boden. Auf jeden Fall merken Topf und Deckel nun, dass sie ja gar nicht zusammenpassen und aus ist es mit der Zufriedenheit.

 

Fall 3: Der freudige Fall:

Ein hölzerner Deckel trifft auf einen gläsernen Topf und passt von der Größe perfekt. Die beiden freuen sich ihres Topf-Deckel-Lebens und köcheln freudig vor sich hin. Ein kleiner Windstoß oder eine Erschütterung können ihnen nichts anhaben. Aber Vorsicht, wenn der Inhalt des Topfes eines Tages zu kochen beginnt oder eine fleißige Hausfrau den Topf in den Kühlschrank stellt. Auweia, der Deckel kann nicht anders (er ist ja aus Holz) und dehnt sich aus, bzw. zieht sich zusammen. Die Außenbedingungen haben sich krass verändert - das Gefüge passt plötzlich nicht mehr. Wenn sie Glück haben, normalisiert sich die Temperatur wieder und sie können, solange keine erneuten Veränderungen eintreten, weiterhin freudig zusammen klappern. Wenn nicht, tritt das gleiche ein wie in Fall 2.

 

Fall 4. Der Glücksfall:

Ein grüner Deckel trifft auf einen roten Topf gleichen Materials und gleicher Größe. Aaahhh, alles passt, Topf und Deckel fühlen sich sauwohl und sind richtig glücklich. Sogar heißes, brodelndes Wasser oder ein paar unterkühlte Tage im Kühlschrank können ihnen nichts anhaben. Die beiden können so – eng verbunden – lange Zeit glücklich miteinander verbringen, sogar bis ans Ende ihrer Tage, ohne größere Bedrohungen. Die einzige Gefahr für diese Topf-Deckel-Paar besteht darin, dass die beiden sich irgendwann langweilen, weil nichts und niemand ihnen etwas anhaben kann und ihr stabiles Topf-Deckel-Leben ohne größere Schwankungen verläuft. Dann könnte es passieren, dass sie sich nach neuen Herausforderungen umschauen und dabei erstaunt bemerken, dass sie ja verschiedene Farben haben. Sie können sich vielleicht sogar an diesem Farbunterschied erfreuen und ihn als Bereicherung sehen und jetzt noch glücklicher zusammen brodeln.

 

Wenn aber nur einer der beiden sich nun daran stört und meint, dass diese beiden Farben ja eigentlich so gar nicht zusammen passen, so ist es vorbei mit dem Glück und die beiden müssen sich wohl oder übel schmerzlich trennen.

 

Fall 5: Der Idealfall

Der Idealfall – den jeder Topf und jeder Deckel letztlich anstrebt – ist wider erwarten zugleich der schwierigste Fall (wodurch die Benennung als Idealfall vielleicht nicht ganz zutreffend erscheint). Dieser Fall tritt ein, wenn sich genau der Topf und der Deckel treffen, die perfekt zusammen passen. D.h. Größe, Beschaffenheit und Farbe sind identisch. Dazu sei gesagt, dass dieser Fall sehr selten eintritt, da die Töpfe und Deckel ja über die ganze Welt verteilt sind und es unter all den zahllosen Töpfen und Deckeln dieser Welt immer nur ein Paar gibt das genau zusammenpasst und diese Bedingungen erfüllt. Aber es gibt sie, diese Zusammentreffen. Und wenn sich solch ein Topf und solch ein Deckel gegenüberstehen, dann wissen beide sofort, dass sie das passende Gegenstück gefunden haben. Es ist als würden sie magisch (oder magnetisch angezogen) und wenn der Deckel auf den Topf fällt, entsteht ein unglaubliches Energiefeld. Keiner der beiden kann etwas dagegen tun und der Deckel sitzt bombenfest - nichts und niemand kann diesen Deckel nun wieder von dem Topf lösen. Sie müssten jetzt eigentlich der glücklichste Topf und der seligste Deckel der Welt sein. Dem ist auch erstmal so – wenn da nicht das Schicksal wäre das – wie könnte es anders sein – natürlich seine Finger mit in diesem Spiel hat.

 

Denn: Es hat diese beiden ja nicht ohne Grund zusammen geführt. Wenn es passiert, dass ein perfektes Topf-Deckel-Paar sich nach langen Jahren der Suche und des Ausprobierens, des Lernens und Erkennens findet, so ist es damit immer noch nicht getan. Der lang ersehnten Ruhe der beiden steht jetzt die schwierigste aller Bewährungsproben bevor und nur wenn sie diese bestehen, können sie bis zum Ende aller Tage ein wirklich glückliches Topf-Deckel-Leben leben.

 

Wie sieht nun diese Bewährungsprobe aus? Es ist nicht die Langeweile, denn die kann bei diesem Paar nicht aufkommen. Es ist auch nicht ein wenig Feuer unter dem Topf oder ein paar Tage im Kühlschrank. Weit gefehlt, denn das könnte den beiden nicht das geringste Anhaben. Ziel des Ganzen ist, das diese beiden Teile – der Topf und der Deckel – wieder zu der Einheit verschmelzen, aus der sie einst gemacht wurden. Und das geht nicht mit gewöhnlichen Methoden. Dazu bedarf es weit mehr. Somit werden die beiden in einen Hochofen gesteckt bis sie glauben, darin zu verbrennen. Damit aber nicht genug. Sie werden ebenfalls in flüssigen Stickstoff getaucht und die Kälte die dabei entsteht raubt ihnen den Atem und lässt sie fast zerspringen. Diese Prozedur erfordert unglaublich viel Mut und noch mehr Vertrauen – es holt die tiefsten Ängste hervor, alle Wunden brennen aus, alle Kratzer werden abgeschabt und alle alten Reste aus Topf und Deckel herausgesprengt. Das alles geht bis an die Schmerzgrenze des armen Topfes und des zitternden Deckels – und darüber hinaus. Es ist keinesfalls so ruhig, so harmonisch oder so langweilig wie bei den vorherigen Fällen. Es ist Himmel und Hölle in einem, es ist unglaubliches Glück und tiefste Verzweiflung.

 

Doch nicht alle dieser perfekten Topf-Deckel-Paare überstehen diese Prozedur. Um ehrlich zu sein, ist es nur eine verschwindend geringe Zahl. Denn sobald einer der beiden beginnt, sich dagegen zu wehren, sobald Angst und Zweifel übermächtig werden – und das ist bei dieser Konstellation fast immer der Fall - passiert es, dass sie mit einem enormen Knall wieder auseinander brechen und bis ans andere Ende der Welt geschleudert werden. Und es wird lange Zeit dauern, bis sie sich davon erholt haben. Es wird lange dauern, bis sie wieder Mut fassen, sich wieder finden können und sich mit neuen Erfahrungen und neuem Mut nochmals dieser Herausforderung stellen.

 

In dieser Zwischenzeit kann es zu erstaunlichen Verhaltensweisen kommen. Es kann passieren, dass der Topf nach dieser Erfahrung vor jedem Deckel, der auch nur in seine Nähe kommt, blitzartig die Flucht ergreift. Es kann aber auch sein, dass der Topf sich einfach andere Deckel aufsetzt. Aber egal, ob sie völlig anders als der ideale Deckel oder ihm sogar ähnlich sind – er weiß, tief in seinem Topfinneren schon im Vorfeld, dass keiner so gut passen wird wie sein Idealdeckel. Selbst wenn er einem Glückfall-Deckel begegnet, so können die beiden durchaus ein schönes Topfleben führen – aber die Erinnerung an diesen einen, idealen Deckel, wird sein Leben immer begleiten.

 

Somit ist der Idealfall – wenn die Zeit noch nicht reif und der Mut noch nicht groß genug war - in gewisser Weise auch ein Fluch. Denn so schlimm die Erfahrungen mit diesem Deckel auch waren – der Topf wird niemals vergessen können, wie es sich anfühlt, den wirklich passenden Deckel zu tragen.

 

Ob das ideale Topf-Deckel-Paar diese ganze Prozedur nun sofort zusammen übersteht oder erst viel später, spielt keine Rolle, denn dieses Paar wird sich immer wieder finden und sie werden sich gleich erkennen – über alle Grenzen und Zeiten hinweg. Letztlich werden sie wieder und wieder zusammen durch die Hölle und den Himmel gehen. Und am Ende der ganzen Prozedur werden der Topf und der Deckel eines Tages in einem hellen Glanz erstrahlen – in absoluter Verbundenheit, großer Klarheit und wahrer Liebe.

 

Das alles ist unvorstellbar für normale, klappernde Töpfe und Deckel die am Anfang ihrer Reise stehen – sie glauben es nicht, verstehen es nicht oder es macht ihnen Angst - und doch tragen alle diesen Wunsch in sich – und alle werden es irgendwann erleben – wenn die Zeit der Begegnung reif ist. 


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