Was bleibt?

Ich wollte mein Leben ändern. 

 

Eigentlich hatte ich Euch hier berichten wollen, dass ich meinen Job geschmissen habe, ab Mitte Mai zum ersten Mal im Leben völlig frei und ungebunden gewesen wäre - und mich, mit meinem Camper, auf eine 4-monatige Reise nach Portugal begeben wollte. Während der Reise wollte ich fotografieren, schreiben und an meinem neuen Roman arbeiten, den ich schon im Kopf hatte. Was gibt es Schöneres?

 

Dann kam alles anders.

 

Das erste, was auffällig war, war dass sich mein rechter Arm und die Gesichtshälfte ca. im im Februar 2022 ständig so anfühlte, als wäre sie mit Eiswasser überzogen. Merkwürdig und nicht gut - aber ich ignorierte es einfach und dachte, das gibt sich wieder - zumal ich jahrelang ja nie krank war. Dann, Ende März, konnte ich plötzlich nicht  mehr richtig sehen. In der Entfernung verschoben sich die Bilder und ich sah plötzlich ständig doppelt. Das war sehr unschön und konnte nicht normal sein. Da ich nicht mehr die Strecke zur Arbeit fahren wollte, machte ich Homeoffice und erhielt einen MRT-Termin, bei dem der Kopf durchleuchtet werden sollte. Ich hoffte, dass es sich um einen eingeklemmten Nerv oder eine verstopfte Ader handeln würde, da ich starke Raucherin war.

 

Da lag ich dann also, das MRT-Gerät war unglaublich laut, aber ansonsten war das Durchleuchten harmlos. Als Kontrastmittel gespritzt wurde, war ich etwas beunruhigt, denn das wird nur gemacht, wenn etwas auffällig war. Dann war ich fertig und wartete auf das Arztgespräch. Was mir dabei durch den Kopf ging erinnere ich nicht. Der Arzt holte mich rein und an der Wand hingen die Bilder meines Gehirns. Er kam gleich zur Sache und sagte, dass sie etwas gefunden hätten. Es handele sich um mehrere Gehirnmetastasen, die ich auf den Röntgenbildern gut erkennen konnte.

 

Was? Metastasen? Im Kopf? Bei mir? Völlig absurd. 

 

Das einzige, was mir bei dieser Aussage klar vor Augen stand, war der Satz: Ich bin tot!

 

Vor einer Sekunde zur anderen, zerbrach alles. Jeder Traum und jedes Ziel zerplatzten wie staubige Ballons. Meine Zukunft war schlagartig ausgelöscht, war nicht mehr existent. Ich befand mich in einem luftleeren Raum, ohne eine Vorstellung, was jetzt mit mir passieren würde - was überhaupt los war.

 

Ich ging irgendwie nach Hause und seither ist einiges passiert, wenn auch nicht viel. Es sind fast vier Wochen vergangen und ich lebe erstaunlicherweise immer noch. Ich musste erkennen, dass man doch nicht sofort an solch einer Diagnose stirbt - auch wenn es eine der Übelsten ist. Nach Tagen in der Überzeugung, dass es bald vorbei ist, begann ich mich, mit der großen Unterstützung meiner drei wundervollen Töchter, irgendwie etwas aufzuraffen und zu orientieren und dann auch zu informieren. Ich verbrachte vier Tage im Krankenhaus, wo herausgefunden wurde, dass der Primärtumor Brustkrebs ist - wieder eine völlig absurde Diagnose in meinen Augen. Es gibt auch ein paar kleine Metastasen in der Lunge, was mich jedoch - nach 40 Jahren rauchen - kaum interessiert hat. Mein Blutbild ist gut - hä? Wie kann das sein? Es ist alles wie immer, ich spüre nichts - nur der Kopf macht mir zu schaffen. Ich bin völlig abhängig, dass mich jemand fährt, begleitet etc. - eine schlimme Situation für mich - aber meine Töchter machen es leichter.

 

Es gab Gespräche über evtl. Therapiemöglichkeiten und ich erfuhr, dass der Krebs zu weit fortgeschritten ist, um ihn zu heilen, war ja klar, - aber das es neue Methoden gibt, durch die er gestoppt werden kann und man evtl. noch jahrelang ganz gut leben kann. Ach was? Meine verschwundene Zukunft begann sich ein wenig auszudehnen und Hoffnung baute sich auf.

 

Merkwürdige Gedanken gingen mir jedoch während der ersten Zeit immer wieder wechselweise durch den Kopf. Auch wenn mir klar war, dass ich mit 58 Jahren nicht mehr die jüngste bin und mein Leben im Grunde gelebt habe - wenn ich an die vielen Kinder, jungen Menschen und Mütter dachte, die sterben müssen, dann empfand ich das als große Ungerechtigkeit diesen Menschen gegenüber.  Aber dann wieder spürte ich deutlich, dass der Tod mich am Arsch hat und es fühlte sich scheiße an. Das Schicksal ist ein mieser Verräter - gerade jetzt, wo alles besser geworden wäre. Ich brauche noch etwas Zeit. Ich kann jetzt nicht plötzlich abtreten, denn ich habe noch so viel vor, so viel zu sagen, so viele Träume. Aber nimmt das Leben Rücksicht auf solche Befindlichkeiten?

 

Dann bekam ich einen Groll auf die Tatsache, als ich mitbekam,  wie meine Nachbarn und diverse Leute, die locker 20, oft auch 30 Jahre älter sind, fröhlich ihren Sommer, Feiern, Urlaub - einfach ihre Zukunft planten. Ich hatte das Gefühl, dass jede Wespe eine längere Lebenserwartung hat als ich. Natürlich wünsche ich den Leuten nicht, dass sie sterben - aber es erschien mir alles sehr ungerecht. Wenigstens ein paar Jährchen erbitte ich auch mir noch....

 

Weil es anscheinend immer eine gewisse Zeit dauert, bis alles abgeklärt ist, ist bisher auch noch nichts weiter passiert. Zuerst soll eigentlich immer der Ausgangstumor behandelt werden. Da ich aber das Gefühl hatte, mein Kopf macht nicht mehr lange mit, habe ich gefragt, ob man diese Baustelle zuerst behandeln kann. Sie werden dass machen - allerdings bereitet mir auch das Unbehagen. Die Metastasen im Kopf - es sind wohl ca. 10 Stück - sind so klein, dass man sie nicht gezielt "beschießen" und ausmerzen kann. Das heißt, mein gesamter Kopf wird ab Donnerstag 10 Tage lang bestrahlt. Kann nicht gut sein - aber was bleibt mir übrig? Es gibt wohl keine Alternative und wenn ich möchte, dass die Beschwerden verschwinden und ich hoffentlich wieder selbstständiger werde, muss ich da jetzt durch. Ich hoffe nur, ich kann nach der Bestrahlung noch denken... 

 

Es ist krass - der beschissene Tumor ist nur ca. 2 cm groß, die Metastasen sind winzig - und doch macht das alles so üble Probleme.

 

Eigentlich sollte ich jetzt damit beschäftigt sein, meinen wunderbaren Bus zu putzen, Wasser aufzufüllen, ihn zu packen und die lange Route zu planen. Stattdessen steht er ungenutzt vor der Tür und ich befasse mich damit, ob ich nächste Woche noch denken und übernächste Woche hoffentlich noch leben werden.

 

Das ist doch scheiße!!!


Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Monika Wilke (Montag, 06 Juni 2022 02:08)

    Liebe Mika,
    das ist ganz klar Riesenscheiße. Wenn Du ein Ohr brauchst, bin da.
    Lg Monika

  • #2

    Mika (Dienstag, 07 Juni 2022 15:42)

    Hallo Monika,
    danke, das ist lieb von Dir. �
    Liebe Grüße
    Mika